Zauberwürfel

Projekthintergrund

Im Zuge der Veränderung der Lebensbedingungen von behinderten Menschen ist es für viele Erwachsene mit Lernschwierigkeiten* selbstverständlich geworden, Sexualität und Partnerschaft zu leben. Zu dieser Normalität gehört auch, Kinder zu bekommen und mit ihnen als Familie zusammen zu leben. Dabei sind Eltern und Kinder vielfach auf Unterstützung angewiesen. In Bezug auf angemessene Unterstützung gibt es noch viel Entwicklungsbedarf. Im Folgenden wird in Form eines Problemaufrisses die Ausgangssituation für das Modellprojekt Begleitete Elternschaft NRW kurz skizziert.

*Es wird überwiegend der Begriff Menschen mit Lernschwierigkeiten verwendet, da dieser weniger stigmatisierend ist und von Betroffenen selbst benutzt wird. Gemeint sind Menschen, die im leistungsrechtlichen Sinne als Menschen mit einer geistigen Behinderung bezeichnet werden.

Reaktionen auf Kinderwunsch und Elternschaft

Das Bekanntwerden einer Schwangerschaft bei einer Frau mit Lernschwierigkeiten löst im Umfeld häufig Sorge, Rat- und Hilflosigkeit aus. Elternschaft von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist weiterhin mit vielen Tabus belegt und für die Betroffenen mit Fremdbestimmung und Stigmatisierung verbunden. Auch betroffene (werdende) Eltern selber befinden sich in der Situation, dass sie ihr Kind bestmöglich versorgen und erziehen wollen, aber unsicher sind, ob sie dies wirklich schaffen.

Situation in Bezug auf Unterstützungsangebote

Machen sich die (werdenden) Eltern allein oder gemeinsam mit Unterstützungspersonen aus ihrem Umfeld auf die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten, so finden sie häufig die Situation vor, dass Mitarbeiter*innen der für eine Bewilligung von Hilfen zuständigen Stellen, wie Jugendamt und Landschaftsverband, aber auch Mitarbeiter*innen wie etwa des Gesundheitswesens oder von Beratungsstellen, keine oder wenig Kenntnis über Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihre Kinder haben. Diese gibt es an vielen Orten in Nordrhein-Westfalen. Sie reichen aber bei weitem nicht aus, stehen den Familien nicht wohnortnah zur Verfügung oder sind nicht passend.

Finanzierung der Unterstützung

Darüber hinaus gibt es bisher bei den zuständigen öffentlichen Stellen immer wieder Unklarheit über die rechtlichen Grundlagen der Kostenübernahme beziehungsweise der Zuständigkeiten, denn Begleitete Elternschaft ist ein Angebot an der Schnittstelle von Kinder- und Jugendhilfe und dem Feld der Unterstützung für Menschen mit Behinderungen.

Der Anspruch auf Unterstützungsleistungen für Eltern mit Behinderung wird durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG, SGB IX) gestärkt. Leistungen für Assistenz (Paragraf 78 SGB IX) umfassen ab 1.1.2020 ausdrücklich auch Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder. Davon unberührt ist der Anspruch auf Hilfen zur Erziehung, der für alle Eltern besteht und für deren Finanzierung die örtlichen Jugendämter zuständig sind. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Abgrenzungsschwierigkeiten weiter bestehen bleiben.

Situation der Familien

Staatliche Hilfen für Familien stehen allen Eltern unabhängig von einer Behinderung zu. Eltern mit Lernschwierigkeiten sind in erster Linie Eltern mit denselben Bedürfnissen, Wünschen und Ängsten wie andere Eltern auch. Durch eine zu starke Konzentration auf die Beeinträchtigung besteht immer die Gefahr, die Eltern genau hierauf zu reduzieren und damit bestehende Zuschreibungen und kategoriales Denken zu fördern. Gleichzeitig ergeben sich in Bezug auf die Unterstützung durchaus spezielle Anforderungen. Anliegen des Projektes ist es, genau auf diese besonderen Bedürfnisse hinzuweisen. Die Anforderungen, die sich für die Zusammenarbeit mit dieser Personengruppe ergeben, liegen dabei nicht nur auf der individuellen Ebene der Beeinträchtigung (zum Beispiel eingeschränkte Lese- und Schreibkompetenz), sondern beruhen häufig auf den mit der sozialen Zuschreibung „geistige Behinderung“ verbundenen wirkmächtigen Konsequenzen für Biographie und Lebenswelt (zum Beispiel Stereotype, Besonderung). Hinzu kommt, dass sich bei Eltern mit Lernschwierigkeiten häufig noch weitere Benachteiligungen und Belastungsfaktoren summieren, die in Wechselwirkung stehen, sodass es sich um eine besonders verletzliche Gruppe handelt.

Eltern mit Lernschwierigkeiten sind so einerseits mit „besonderen“ Problemen konfrontiert, zum Beispiel möglicherweise der Situation, dass ihre Kinder ihnen zu einem früheren Zeitpunkt als bei anderen Eltern, kognitiv „überlegen“ sind. Andererseits sind sie jedoch in der Regel auch mit genau den gleichen Herausforderungen und Problemen konfrontiert, wie alle Eltern. Es geht daher im Kern immer um Themen, die ganz allgemein in der Jugendhilfe eine wichtige Rolle spielen, die sich aber möglicherweise vor dem Hintergrund einer besonderen Verletzlichkeit potenzieren.

Ziel des Projekts und dieses Informationsportals

Ziel ist es, zur Weiterentwicklung der Begleiteten Elternschaft in Nordrhein-Westfalen durch Informationen, Arbeitsmaterialien und Vernetzung beizutragen. Familien mit Eltern mit Lernschwierigkeiten sollen die Möglichkeit haben als Familie zusammenzuleben und dabei wohnortnahe bedarfsgerechte Unterstützung zu erhalten.